Bevorzugte Asylsuchende sind jung, weiblich und fliehen vor Krieg
Eine internationale Forschungsgruppe um ETH-Professor Dominik Hangartner zeigt, dass die Solidarit?t mit Gefl¨¹chteten in Europa trotz grosser Herausforderungen stabil geblieben ist. Gefl¨¹chtete aus der Ukraine werden tendenziell positiver wahrgenommen, jedoch nicht auf Kosten anderer Gruppen.
Der russische Angriff auf die Ukraine l?ste eine der gr?ssten Fluchtbewegungen seit dem Zweiten Weltkrieg aus. Mehr als 7,4 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer beantragten Asyl in Europa. Das sind fast dreimal so viele Menschen, wie in den Jahren 2015 und 2016 w?hrend des syrischen B¨¹rgerkriegs in Europa Schutz fanden.
Um zu untersuchen, ob und wie sich die Aufnahmebereitschaft der einheimischen Bev?lkerung seit 2016 ver?nderte, befragte ein internationales Forschungsteam um ETH-Professor Dominik Hangartner 33'000 Personen in 15 europ?ischen L?ndern. Die erste Befragungsrunde fand im Februar 2016 statt, die zweite von Mai bis Juni 2022. Die Forschenden legten den Befragten Profile von hypothetischen Asylsuchenden vor, bei denen Merkmale wie Religion, Geschlecht, Beruf oder Fluchtgrund zuf?llig variiert wurden. Die Befragten entschieden dann, welche Profile von Asylsuchenden sie in ihrem Heimatland aufnehmen w¨¹rden. Die Studie ist soeben in der Fachzeitschrift Nature erschienen.
Ukrainische Fl¨¹chtlinge sind beliebter
Die Forschenden zeigen, dass die Einstellungen gegen¨¹ber ukrainischen Gefl¨¹chteten positiver sind als gegen¨¹ber Gefl¨¹chteten aus L?ndern wie Syrien, Pakistan oder Afghanistan. Der Grund liegt aber weniger darin, dass es sich bei der Ukraine um ein europ?isches Land handelt. Entscheidend ist vielmehr, dass ukrainische Gefl¨¹chtete eine Reihe von Eigenschaften aufweisen, die von der Bev?lkerung bevorzugt werden. ?Die Befragten bef¨¹rworten eher die Aufnahme von Asylsuchenden, die j¨¹nger, weiblich und christlich sind, konsistente Asylantr?ge einreichen, ¨¹ber bessere Sprachkenntnisse und berufliche Qualifikationen verf¨¹gen und besonders schutzbed¨¹rftig sind?, erkl?rt ETH-Professor Hangartner. Diese Merkmale trafen auf Gefl¨¹chtete aus der Ukraine eher zu als auf Asylsuchende aus anderen L?ndern.
Im Einklang mit der Genfer Fl¨¹chtlingskonvention hat auch der Fluchtgrund einen signifikanten Einfluss auf die Bereitschaft europ?ischer Gesellschaften Asylsuchende aufzunehmen: Die Befragten f¨¹hlten sich eher mit Menschen solidarisch, die vor Krieg sowie politischer und religi?ser Verfolgung fliehen. Asylsuchende, die ihr Heimatland aus wirtschaftlichen Gr¨¹nden verlassen, werden deutlich skeptischer beurteilt.
Aufnahmebereitschaft ist weiterhin gross
Die Analyse der Forschenden belegt ausserdem, dass die Aufnahmebereitschaft in Europa auch nach der zweiten grossen Fl¨¹chtlingsbewegung innerhalb von acht Jahren erstaunlich stabil geblieben ist. ?Wir finden keine Anzeichen daf¨¹r, dass die Solidarit?t gegen¨¹ber Gefl¨¹chteten abgenommen hat. Im Gegenteil: Die Unterst¨¹tzung ist heute sogar etwas h?her als auf dem H?hepunkt der syrischen Fl¨¹chtlingskrise? sagt Hangartner. Dies ist umso erstaunlicher, da die bestehende Forschung davon ausgeht, dass die Skepsis gegen¨¹ber Gefl¨¹chteten in wirtschaftlich angespannten Zeiten mit hoher Inflation eher zunimmt.
Im europ?ischen Vergleich liegt die Schweiz mit der Bereitschaft 49 Prozent der hypothetischen Asylsuchenden aufzunehmen im Mittelfeld. Sie rangiert hinter L?ndern wie Spanien (60 Prozent) und Italien (58 Prozent), aber vor L?ndern wie Tschechien (38 Prozent) und Ungarn (47 Prozent).
Solidarit?t mit der Ukraine geht nicht zu Lasten anderer Gruppen
Die Ergebnisse der Studie widerlegen auch die Bef¨¹rchtungen, dass die Solidarit?t mit ukrainischen Fl¨¹chtlingen zwangsl?ufig auf Kosten der Unterst¨¹tzung anderer Gruppen gehe. Dazu ETH-Professor Hangartner: ?Die Zahl der nicht-ukrainischen Asylsuchenden, welche die von uns befragten Personen aufnehmen w¨¹rden, ist in allen untersuchten L?ndern im Vergleich zu 2016 entweder gleichgeblieben oder gestiegen?.
Dies gilt auch f¨¹r muslimische Gefl¨¹chtete: W?hrend Europ?erinnen und Europ?er grunds?tzlich eher bereit sind, christliche Gefl¨¹chtete aufzunehmen, bedeutet dies nicht, dass die Unterst¨¹tzung f¨¹r muslimische Asylsuchende seit 2016 abgenommen hat. Im Gegenteil: In den meisten L?ndern ist sie sogar gestiegen.
Auch rechts der Mitte steigt die Unterst¨¹tzung f¨¹r Fl¨¹chtlinge
Die Forschenden untersuchten ausserdem, inwieweit die Aufnahmebereitschaft von der politischen Einstellung der Befragten abh?ngt. Personen, die sich als links einstufen, sind eher bereit, mehr Fl¨¹chtlinge aufzunehmen als Personen, die sich als eher rechts bezeichnen.
Befragte, die sich eher als link bezeichnen, waren in der Schweiz 2022 bereit, 65 Prozent der Fl¨¹chtlingsprofile aufzunehmen, die ihnen die Forschenden vorlegten. In Deutschland waren es 66 und in ?sterreich 63 Prozent. Befragte, die sich eher rechts der Mitte verorten, sind deutlich restriktiver: W?hrend sie in der Schweiz bereit waren, 35 Prozent der Fl¨¹chtlinge aufzunehmen, waren es in ?sterreich 38 und in Deutschland 42 Prozent. Trotz dieser Unterschiede stieg die Unterst¨¹tzung f¨¹r Fl¨¹chtlinge zwischen 2016 und 2022 sowohl bei Befragten des linken (um 6 Prozent) als auch des rechten Spektrums (um 4 Prozent) in ganz Europa. Bei rechten Befragten stieg sie in der Schweiz sogar st?rker (um 4 Prozent) als bei linken Befragten (um 3 Prozent). Basierend darauf folgern die Forschenden, dass in Bezug auf die Aufnahmebereitschaft von Gefl¨¹chteten keine zunehmende Polarisierung zu beobachten ist.
Literaturhinweis
Bansak K, Hainmueller J, Hangartner D. Europeans support for refugees of varying background is stable over time. Nature, 9. August 2023. DOI: externe Seite10.1038/s41586-023-06417-6
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